Prognosen sind etwas unsicheres….

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40615677.html

Kappes
„Diesen alten SPIEGEL-Text hat Kathrin Passig ausgegraben und er zeigt sehr gut, wie schief man mit Prognosen liegt, dass technischer Fortschritt Arbeit abschafft. Es handelt sich um Neuauflagen der Marx´schen Verelendungstheorie, die alle paar Jahrzehnte neu aufgelegt wird – der Titel unten zum Beispiel über die Computer-Revolution muss vor dem Hintergrund der sog. Automatisierungsdebatte der 1970er gelesen werden. Die Theorie taucht auch in jüngster Zeit in einer etwas besorgniserregenden Variante auf: dass nämlich von Plattformen „below the API“ und „above the API“ Arbeit verwaltet werde und below die Arbeit verschwindet. Tatsächlich ist _genau das_ wiederum eine technokratische Sicht, weil Menschen nicht below einer API sind, sondern Plattformen Märkte neu und effizienter organisieren. Zudem tritt der Effekt nicht nur bei Taxifahrern, sondern auch bei millionenschweren Immobilienprojekten auf: mehr Transparenz und mehr Wettbewerb ziehen überall die Margen raus.
(Vielleicht mal mehr andernorts, sammele seit Jahren Material dazu)“

Dieser Text ist leider genau einer derjenigen, die so argumentieren, wie ich das eingangs beschreibe. „What’s bizarre here is that these lines of code directly control real humans.“, das ist die Sichtweise, die Software die Akteurseigenschaft zu spricht. Das ist zwar innerhalb der Soziologie (ANT) ein schönes (und mir auch sympathisches) Denkexperiment, aber eine naive Sicht, die ich tatsächlich von kalifornischen Tekkies und globalen BWLern lese. Würde man auch einer Ampel zugestehen, dass sie Menschen „steuert“? Ja, irgendwie schon, denn sie bleiben ja bei rot stehen. Tatsächlich ist Verhaltensgrundlage aber eine soziale Vereinbarung und ein Ordnungsystem, auf das sich eine ganze Gesellschaft verständigt hat. Diese Below-Above-API-Stories beschreiben eine soziale und wirtschaftliche Situation, indem sie eine Software zu Akteuren machen. Das verdreht Mittel und Zweck: es ist, als würde man den Bilanzierungsprogrammen der DATEV die Eigenschaft zusprechen, über das Wohl und Wehe eines Unternehmens zu entscheiden.
Tatsächlich macht eine Bilanzierungssoftware nicht mehr als einfache grundrechenarten auszuführen, um ein Modell der Unternehmenssteuerung (KPIs) zu befüllen. Auch mytaxi und Uber und AirBnB machen ähnliches, sie bilden ein Modell der Nachfrage- Angebotssituation, mit Präferenzen und in Echtzeit.

Interessant ist wohl auch das budgetfreundliche Ausfalten der globalen Werkbank in solchen Fällen, nicht?

Bestimmte Tätigkeiten sind ja faktisch doch in der BRD verschwunden: die erledigen jetzt ArbeiterInnen z.B. in Südostasien.
Gefällt mir · Antworten · 21. August um 14:25 · Bearbeitet

Christoph Kappes Holger Schulze Ja, das stimmt. Aber das ist doch erfreulich, findest Du nicht? Der Aufstieg Chinas und die weltweit seit Jahrzehnten sinkenden Sterblichkeits- und Armutsraten sind meines Erachtens direkte Effekte dieses Mechanismus. Umverteilung zwischen reich und arm – seltsam, dass manche derjenigen da Bedenken haben, die sich sonst so vehement für Flüchtlinge einsetzen.

Bis heute glauben das viele Angehörige der Eliten. Tatsächlich schafft die Transformation von der späten Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft neue Jobs. Zwischen 1980 und 2010, dem Zeitraum also, in den der gefühlte Weltuntergang fällt, wächst das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte um das Zweieinhalbfache. Die Beschäftigungsquote in Deutschland steigt von 59,9 Prozent im Jahr 1983 auf 71,1 Prozent im Jahr 2010. Die IT-Branche beschäftigt in diesem Jahr mehr als 900000 Menschen allein in Deutschland. Und auch der Aufstieg ehemaliger Armenhäuser wie Indien ist untrennbar mit der Teilhabe an der digitalen Welt verbunden. “
http://www.brandeins.de/…/fortschritt…/volles-programm/

Langfassung: Die langfristigen Verläufe der Beschäftigungsquoten geben kein Material für die These, dass Arbeit verschwindet. Es wird auch immer einfachste Arbeit geben, wenngleich sie manchen Branchen umverteilt wird (Schreibarbeiten machen heute die Anwälte nebenbei mit, nicht immer die Sekretärinnen, die haben ein UPGRADE erfahren). Die grosse Reduktion der Lohnarbeit bei körperlichen Produkten ist bereits in der Industrialisierung geschehen (zB Automobil). In anderen Bereichen, etwa „Roboterjournalismus“ und „Maschinelle Übersetzung“ leisten Algorithmen Neues und schaffen neue Märkte – das alte Berufsbild „Journalist“ oder „Übersetzer“ als wird dadurch kaum tangiert. Umgekehrt werden neue Berufe geschaffen wie der Software-Tester. Kreativarbeit (Logos, CI usw) schwindet durch Standardisierung, es gibt aber immer mehr Unternehmen, die sich das dann leisten können, und eine weltweite Designerarmee, die gute Anpassungsarbeit macht.
Man muss da sehr tief in die Materie hineinschauen und ich habe KEIN einziges Buch gefunden, dass brauchbare Prognose-Methoden verwendet – es gibt eben keine valide Methodik für Prognosen.
Umgekehrt: Es steigen überall langfristig die Ansprüche, man sieht das an Schulwissen, aber auch an Dissertationen. Alphabetisierung und Literalität werden für viele Berufe wichtiger. Wer da nicht mitkommt, für den schwinden Chancen auf Erwerbsarbeit. Das ist aber häufig weniger eine Frage von Wissen als von Haltung, der „Digital Divide“ lässt Zielgruppen entstehen, die den PC sehr gut verstehen, aber weder Medienkompetenz noch Selbststeuerungskompetenz haben.
Unterm Strich würde ich heute eher den Blick zu den vielen neu entstehenden qualifizierten Handwerken richten: Pesto herstellen, Kaffee rösten, individualisierte Produkte herstellen. Allein was 3D-Printing gerade an neuen Chancen schafft, ist immens. Dafür braucht meine keine breite Bildung, sondern Interesse und Zugang zu Methoden, Knowhow, Arbeitsplätzen, Geld.
Ich sehe Zugang als Problem, daran muss man arbeiten, statt ständig unbegründete Angstszenarios zu publizieren, wie es der SPIEGEL macht.
(„breite bildung“, schwieriger begriff. man muss nicht viel positives wissen haben, aber man kann mit viel Lernen seine Denkwerkzeuge schärfen. So lernt man zum Beispiel Themen zu strukturieren und Problemräume intuitiv zu erarbeiten. Daher ist sie gut, aber nicht im Sinne breiten lexikalischen Wissens.)


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