Plattform, Baby!

„Tach. Wir sollen hier nen Bett abholen“ sagen zwei gut bepackte Möbelpacker. „Hier?“. Hier ist in Berlin. Hier gibt es kein überschüssiges Bett. Und schon gar keines zum Abholen. Abgeholt werden möchten die unvollständigen Bett-Teile in Ahrenshoop aus dem Bällebad. Aber fangen wir vorne an.




Ich habe derzeit zwei große Baustellen. Auf der einen Baustelle versuche ich mit Unternehmen in kleinen Schritten die Errungenschaften der digitalen Transformation nutzbar zu machen, nachdem vorher die großen Wunder versprochen wurden. Auf der anderen Baustelle versuche ich als Kunde die versprochenen großen Wunder der Digitalisierung zu nutzen, um uns einen Traum an der Ostsee so nebenbei zu organisieren. Ohne die Wunder der Digitalisierung könnten wir das Traumhaus gar nicht so nebenbei bauen, und ohne die Unternehmen, die für guten Rat bereit sind zu zahlen, würden wir die Wunder der Digitalisierung für unseren Hausbau gar nicht nutzen können.




Natürlich kaufen wir online, lassen liefern und montieren. Ausser dem großen schwedischen Möbelhaus haben wir kaum ein Geschäft betreten, Lampen, Betten, Schränke kommen auf Zuruf. Wenn alles gut geht. Und das geht es oft genug nicht.





Ein typischer Beschaffungstag. Die Gattin wühlt sich wochenlang durch „industry“ style Kataloge, entscheidet sich endlich für ein bestimmtes Bett und bestellt es. Das Bett ist „sofort“ lieferbar, es ist schnell konfiguriert und schnell bezahlt. Natürlich ist es nicht der Online Store des Herstellers, bei dem wir bestellen. Es ist eine von tausend Plattformen, die irgendwie versucht, Nachfrage auf sich zu konzentrieren. Erste Lehre: „sofort“ heißt natürlich nicht, dass morgen geliefert wird. Wäre ja auch naiv, das anzunehmen. Erst fragt nämlich der Händler nach Bestelleingang und natürlich Zahlungseingang beim Hersteller an, wann der denn liefert. Und da wir natürlich weit weg von lückenloser Vernetzung und API Economy sind, scheint das selbst bei großen Shops wie Maison Du Monde ein manuelles Verfahren zu sein. Mit viel Glück bekommt man dann, wohlgemerkt nach Bezahlung, die Info, dass man in zwei Wochen liefern könnte. Alles erträglich, aber dann beginnt das ganze Wunder der Digitalisierung.




Denn wenn eines jeder in der Nahrungskette der Online Shops verstanden hat, dann dass Digitalisierung vor allem eines bedeutet: Werde zur Plattform! Los! Sonst bist Du schon morgen weggefegt vom Markt!




Was bedeutet das für mein Bett? Es wird eine Lieferung avisiert. Ein Bett, Destination Baustelle an der Ostsee. Was dann irgendwann ankommt, sind aber nur die Seitenteile. Weiß der Online Shop davon? Nein. Man muss es ihm mitteilen. Der Shop hat aber natürlich keine Assets. Plattform, verstehste! Er kann nicht im Lager nachschauen. Ist ja nicht sein Lager. Er kann auch nicht beim Hersteller nachfragen, der sitzt ja irgendwo in Sheng Dou oder Shen Zen. Also muss er bei seinem Spediteur nachfragen. Der Spediteur ist aber jetzt „Logistik-Partner“. Er will jetzt auch lieber eine Plattform sein. Er war vermutlich bei einem meiner Digitalisierungsvorträge. Uber, AirBnB, alles klar? Er hat jetzt keine LKWs mehr, keine Fahrer, er ärgert sich nicht mehr mit Bundesautobahnpolizei und Arbeitszeitvorschriften und Lenkzeiten herum. Er ist jetzt Plattform, hey! Dazu hat er ein tolles System aufgebaut, mit dem er Transporte an seine Subunternehmer vermittelt. Die lokalen Spediteure in Deutschland haben aber schon längst Karl-Heinz Land erlebt und – taschacka – verstanden: App-Economy, Plattform, Internationalisierung, Bisness, Baby! Also haben Deutschlands lokale Spediteure hunderte polnische Subkontraktoren unter Vertrag, die auf deutschen Autobahnen mit runtergerockten Mercedes-Kastenwagen Tag und Nacht durch Deutschland rasen und zu Hungerlohnen das deutsche Online Shopping-Wunder möglich machen. Mit sehr sehr viel Glück kann so der Online Shop, also mein Vertragspartner, feststellen, wo eigentlich unsere restlichen Teile sind. Aber nur mit viel Glück. Wir haben keines.





Also wird das Bett einfach nochmal bestellt, die Zeit wird knapp. Durch eine sehr kurze, aber sehr heftige Verschiebung im Raum-Zeit-Gefüge grüßt aber das Murmeltier erneut: Es kommt wieder nur eine Lieferung mit Seitenteilen an der Ostsee an. Parallel will aber irgendeine andere Spedition aus der Nahrungskette die Falschlieferung abholen. Aus Berlin? Spätestens beim dritten Subunternehmer wird mit Fax und Mitarbeitern mit nur rudimentären Deutschkentnissen gearbeitet – der Digital-Analog Wandler spuckt ein schlecht bedrucktes Waren-Papier aus, auf dem dann einfach Rechnungsadresse gleich Lieferadresse stehen. Hilfloses Achselzucken. Keiner weiß, wo nun was abgeholt werden muss. Wo welche Bett-Teile stehen. Keine Stufe in der Kette läßt zu, dass die nächstniedere Stufe direkt kontaktiert wird.





Warum ich mir diesen Frust vom Leib schreibe? Weil es eben nicht nur eine Erfahrung ist, sondern mehrfach passiert bei unserem Projekt. In solchen Massen haben wir noch nie Ware online geordert. Das Problem betrifft allerdings nicht nur Möbelshopping-Plattformen sondern auch das ganz normale Bauhaus um die Ecke, dessen Spediteur mittlerweile ein – Plattform, Baby! – Logistik-Dienstleister ist und dessen Subunternehmer mir im Zeitalter der kompletten Vernetzung nicht mal sagen kann, wo 120 qm (!) Parkett eigentlich gerade liegen und wann sie gesichert ankommen. RFID Tags an Produkten, GPS Sender an Containern und LKWs? Jeder Zugvogel kann heute gesichert geortet werden, nicht aber Waren, die von virtuellen Warenbewegern in Kaskaden weitergereicht werden.





Wir haben unendlich viel Ware zu unserem Bauprojekt schaffen lassen. Wir hätten das alleine mit einem Laster und einem Besuch in Elchshausen oder bei Möbel-Höffner nie geschafft in der Zeit und in der Qualität. Klar ist aber auch: In der Logistik-Kette steckt die Tücke, und kaum einer beherrscht das so professionell wie Amazon. Bei Amazon merkt man, wie ausgeklügelt das System ist. Hier ist nie etwas schief gegangen mit unterschiedlichen Lieferadressen. Die avisierten Zeiten stimmen meist und weichen höchstens mal um ein paar Tage ab. Rechnungen, Dokumentation, Rückgabe, Erstattung – es gibt keinen anderen, der das so beherrscht. Der Rest ist meilenweit abgeschlagen.





Schlußwort: Dies ist kein Online Shopping Bashing. Ich stimme auch nicht das große Lied des Amazon Bashing an, besinge nicht tote Innenstädte, wünsche mir nicht alte Zeiten zurück, klage nicht über Hungerlöhne in der Logistik. Dies sind nicht Probleme, die ich durch Shopping-Vermeidung lösen könnte, sondern strukturelle Probleme. Es ist nur ein Appell an die Händler, die glauben, dass Logistik mal so nebenbei funktioniert, zu prüfen, ob man sich mit dem Wettbewerb um noch günstigere Lieferbedingungen einen Gefallen tut. Am Ende hilft alles Plattform-Dasein nichts. Es muss ein physisches Produkt zuverlässig beim Kunden landen. Und das scheint eine hohe Kompetenz zu sein.


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