Papa, was ist Anarchie?

Wenn man so eng mit dem IT Geschäft verbunden ist, wie ich es die letzten Jahre war, dann stellt sich irgendwann die Frage: Lassen wir sie ran oder bewahren wir sie davor.
Die Rede ist von meinen Kindern, und meine Strategie war bisher, sie lieber lange im Sand riesige Burgen bauen zu lassen oder sie durch Schlammpfützen springen zu lassen, als ihnen die Wunder der Informationstechnologie bereits im frühesten Kindesalter nah zu bringen. Die Diskussion um das Thema Fernsehen ähnelt derjenigen um das Thema Computerspiele, und ich vertrete eher die geordnete Vermeidungsstrategie, auch wenn ich den Argumenten der Gegenseite aufgeschlossen bin. Der Anblick von Kindern vor dem Fernseher – halboffene Münder, tiefe Hypnose, völlige Körperstarre, glasige Augen – und die damit verbundenen Nachwehen bestärken eher mein Bauchgefühl, dass das wohl keine geistig anregende Beschäftigung ist.
Nun aber dies: Zum Geburtstag des Ältesten flattert uns „Tropico 2, die Pirateninsel“ ins Haus. Strategiespiel für Kinder ab 6 Jahre. Die Handlung liest sich gut, scheint kein Ballerspiel zu sein, vielleicht ja ein netter Einstieg in die Welt der Computerspiele. Das Spiel hat viel Ähnlichkeit mit „Age of Empires“, aber aus Mangel an Erfahrung kann ich eh keine anderen Parallelen erkennen. Man spielt im Zeitraffer den Aufbau eines Piratenimperiums durch, muß Häuser bauen, Schiffe bauen, Expeditionen losschicken und den Piratenreichtum mehren.
Man stelle sich das dann so vor: Vater mit beiden Rackern vor dem Bildschirm. Wir bauen die ersten Holzfällerlager, um Holz zu schlagen, dann ein Sägewerk, damit wir Bauholz bekommen. Plötzlich meldet sich ein Hilfspirat mit der Stimme von Käptn Blaubär und fordert mehr Schlafplätze. Also bauen wir Schlafplätze. Schließlich bauen wir stolz das erste Schiff und schicken es auf eine Expedition. Da erscheint aus heiterem Himmel wieder Käptn Blaubär und erklärt, dass die Zufriedenheit der Piraten sinkt, denn es gäbe auf der ganzen verdammten Insel keinen Grog. Hmmm.
„Papa, was ist Grog?“
Also los, wir bauen eine Brauerei, bauen mehrere Kneipen, heuern eine Schnapsbrennerin an und bald gibt es Grog. Alles scheint zufrieden zu sein.
Dann wieder Käptn Blaubär. Er meint, ohne Spielhöllen wäre es zu langweilig.
„Papa, was ist eine Spielhölle?“
Gut, wir bauen eine Spielhölle. Währenddessen bauen wir unseren Ackerbau aus, schließlich brauchen wir Weizen für die vielen Gefangenen, die aus irgendeinem Grund die englische Marine, mit der wir alliiert sind, zu uns rüberschifft. Da platzt wieder Käptn Blaubär rein und teilt uns mit, dass die Piraten sich schon wieder langweilen, es gäbe ja nicht mal anständige Freudenhäuser.
„Papa, was ist ein Freudenhaus?“
Also schnell ein Freudenhaus gebaut. Nun ist es in dem Spiel so, dass man natürlich auch Leute zur Arbeit einteilen muß. Das geht ungefähr so. Suche Dir einen rumstehenden Gefangen, schaue Dir seine Qualifikation an und ordne ihn der Qualifikation entsprechend zu. Weibliche Gefangene gibt es auch. Und wie erklär ich es meinem Kinde? Still und heimlich stell ich also eine französische Gefangene ab zur Arbeit im Bordell, zu der auch sofort der Käpitän hinmarschiert und seinen Zufriedenheitspegel aufbessert. Ich lasse schnell die Kinder eine Fregatte bauen und lese verwirrt nochmal die Altersangabe. Vielleicht steht da ja 16 und nicht 6. Nein, ganz klar, 6 Jahre.
Während wir dann auf Wunsch meines Jüngsten endlich die Stadt mit ein paar Statuen verschönern, das lang ersehnte Hotel für reiche Gefangene bauen und ich sehr froh bin, das lästige Thema „Dirnen“ umschifft zu haben, meldet sich Käptn Blaubär wieder. Ein wenig Anarchie würde der Insel gut tun.
„Papa, was ist Anarchie?“
Das ist wirklich leicht erklärt, schließlich ist das ja der ersehnte Traumzustand. Aber wie erreicht man Anarchie? Der kurzer Blick in die Hilfesektion des Spiels öffnet mir endgültig die Augen für die wahre Zielgruppe des Spiels.
„Im Menu Edikte finden Sie zahlreiche Möglichkeiten, die Anarchie zu fördern. Klicken Sie das Untermenu Wahllose Hinrichtungen ….“
Nein, das klicke ich nicht. Denn die dazugehörige Frage meiner Kinder möchte ich dann wirklich nicht beantworten.

Alte Kommentare:

johnny:
Ist das wahr?? Unglaublich. Ab 6 Jahren freigegeben?
2005-04-12T10:29Z
Alexander Kluge:
Jupp. Ab 6 Jahren kann man Dirnen zu Kurtisanen ausbilden, aufmüpfige Piranten kielholen, zügellose Gelage veranstalten – und wahllos ein paar Gefangene einer beliebigen Nation hinrichten. Tja, Früh übt sich.
2005-04-12T10:52Z
Micha:
Hallo Alexander, du hast ja noch Glück gehabt, dass du dir nicht den Patch 1.2 heruntergeladen hast, der enthält nämlich ein Bonus-Szenario zur Spanischen Inquisition. :confused:
2005-04-12T11:29Z
Mayweather:
Das zeigt doch mal wieder, dass bei dem Alters-Rating nur auf die Form und bestimmte, wiederkehrende Elemente (Gewalt, übermäßige Gewalt, die Handlung nicht unterstützende Gewalt) geachtet wird. Der Inhalt ist vollkommen egal.
2005-04-12T12:27Z
Uwe:
Originell geschrieben 🙂
2005-04-12T12:49Z
Alexander Kluge:
@mayweather: Richtig. Ich nehme an, da saßen ein paar Prüfer, haben sich die Screenshots angeschaut und gedacht: Prima, keine Monster, keine entbößten primären Geschlechtsorgane, kein Blut – also ist das was für Vorschulkinder.
2005-04-12T14:02Z
Kai:
Skandal! Können die Kinder denn nicht mehr rausgehen und mit Pistolen spielen so wie wir 6jährigen damals? Arrrr … ich hatte wenigstens noch eine Augenklappe und habe mich mit gespielten Bauchschüssen den Hang herunterkullern lassen. Was ist nur aus meiner Kinderidylle geworden. Früher war eben doch alles besser. Zum Glück weiß man das auch hier.
2005-04-13T01:21Z
hanzi:
Meine Güte, weint halt der alten Zeit hinterher…Klar Früher war alles besser…Wacht mal Auf!! Wir leben nunmal nicht im Jahre 1975 sonden im Jahr 2005! Zu dem Spiel: Warum hast du deinen Kindern nicht einfach erklärt was das jetzt alles genau ist?? Wäre sogar eine Chance sich mit solchen Sachen kritisch auseinanderzusetzen… Btw: denkt ihr wiklich ihr könnt eure Kinder vor allem bewahren was schlimm und grausam ist?? Spätestens wenn sie auf eine weiterführende Schule kommen kriegen sie sowieso jedes Spiel das sie haben wollen, egal ob ab 6 oder 18… Think about that hanzi
2005-04-13T12:54Z
Alexander Kluge:
Hanzi: Hier heult keiner, sonst hätte ich anders geschrieben. Ich weiß ja nicht ob Du Kinder hast. Aber mein Erstgeborener hat Rotz und Wasser geheult, als Balu ein paar Kokosnüsse auf den Kopf bekommen hat im Dschungel Buch. Kinderseelen sind nun mal nicht gedacht für wahllose Hinrichtungen. Ich habe nicht vor, das zu ändern. Recht hast Du allerdings in dem Punkt: Das zeug kommt noch früh genug uns ins Haus geflattert. Aber solange ich ein wenig steuern kann, halte ich diese Steuerung für eine Aufgabe verantwortungsbewußter Eltern.
2005-04-13T16:16Z
hanzi:
Kluge: Klar, Medienkontrolle ist wichtig! Ich habe keine Kinder, ich bin auch erst 19 Jahre alt, aber ich kann dir zu diesem Punkt nur eins sagen: Sprich mit deinen Kindern über die Spiele, die sie mal anschleppen werden, setze dich mit deinen Kindern über den Inhalt und das Form
at der Spiele auseinander, mach aber nie den Fehler ihnen Spiele zu verbieten! Ich weiss das selbst, meine Eltern haben mir damals auch verboten Spiele zu kaufen die nichts für mich in meinem Alter waren. Ich wollte mir damals Quake 2 kaufen (eigentlich kein Spiel für einen 12-Jährigen) und sie haben es mir verboten. Ich bin natürlich zu dem Älteren Bruder von meinem Freund gerannt und er hat mir das Spiel gebrannt. Ab diesem Punkt hast du dann keine Kontrolle mehr. ps: Wenn du schon selber Computerfachmann bist, spiel mit ihnen auch mal mit! z:b Counterstrike oder Warcraft 3.oder irgendein anderes Multiplayer-Spiel, natürlich wenn sie schon älter sind ;).
2005-04-14T10:02Z
hanzi:
Klar, solange du das Konsumverhalten deiner Kinder steuern kannst, tu‘ das auf jeden Fall! Das mit dem Rumheulen war auch eher an den Kai gerichtet, nämlich auf das Kommentar ‚Früher war eben doch alles besser. Zum Glück weiß man das auch hier.‘
2005-04-14T10:04Z
FBL:
COOOOL !!!! Jetz weiss ich warum unsere Kinder Lehrer + andere Leute umlegen. Aber mir ist leider nicht bekannt, wer darauf hin arbeitet…. ansonsten hat der chef sicher recht: Besser im Matssch wuehlen lssen als debile Ballerspiele für debile Blogger !!
2005-04-15T07:24Z
ntropie:
Hanzi: vielleicht ist dir die spöttische Ironie in Kais Kommentar nicht aufgefallen. Kann passieren.
2005-04-16T13:34Z
Antsan:
Ja, toll, da bemüht man sich jahrelang, den Leuten nahezulegen, was Anarchie wirklich ist und dann kommt so ein Sch***! Wirklich toll! :angry:
2005-08-30T04:46Z
Antsan:
Der Kommentar war nicht auf den Text sondern auf das SPiel bezogen, nich, dass das einer missversteht….. :impressed:
2005-08-30T04:53Z


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