Social Software kann man installieren – Social Business nicht

Quelle: DOK.magazin Ausgabe #1-14

Social Software kann man installieren – Social Business nicht
Collaboration-Plattform, Unternehmenskommunikation, Social Software Tools

Den Wandel zum „Enterprise 2.0“ fordern Experten seit Jahren. Aus dem Web 2.0 entlehnte Werkzeuge sollen Menschen und Technologie, Fachkräfte und Unternehmens-Wissen, Mitarbeiter und Vorgesetze, Kunden und Lieferanten miteinander verbinden. Denn schon seit langem ist auch Unternehmensverantwortlichen klar, dass die Anforderungen der heutigen Zeit die althergebrachten Strukturen verändern werden. Dies lässt sich auch mit Zahlen untermauern: Als wichtigster externer Einflussfaktor für die Entwicklung ihres Unternehmens wird seit zwei Jahren der Faktor „Technologie“ genannt [1].

Für den Geschäftsführer oder Vorstand eines mittelständischen Unternehmens sind diese Themen zwar medial präsent, aber die IT-Abteilung kann diesen Anforderungen kaum etwas Entsprechendes entgegensetzen. Zu sehr sind die IT-Budgets nur zum Betrieb und Erhalt der Leistung ausgelegt. Zu wenig Spielraum besteht für visionäre Themen. Die IT ist meist nicht „Enabler“ und Partner der Fachbereiche. Sie liefert so verlässlich wie möglich die Basisfunktionalitäten.

Social Business folgt eigenen Regeln

Während aber beispielsweise Entscheidungen für oder gegen die „Cloud“ überwiegend innerhalb der IT umgesetzt werden müssen, so ist das Thema „Social Business“ eine Herausforderung für das Unternehmen als Ganzes. Zwar haben alle großen IT-Anbieter sogenannte „Social Business Suites“ im Portfolio: Blog, Wiki, File Sharing und Activity Streams inklusive. Meist sind die Lösungen vergleichsweise leicht installiert und schnell einsatzfähig.

Die erwartete kulturelle Veränderung stellt sich aber nicht von alleine ein. Dies mussten insbesondere diejenigen Unternehmen schnell lernen, die im Rahmen der Adaption von Web-2.0-Arbeitsprinzipien und -Softwaretools – genannt Enterprise 2.0 – die ersten Gehversuche machten. Das Mitmachweb im Unternehmen folgt offenbar anderen Regeln als außerhalb der Unternehmensgrenzen mit Facebook & Co.

Herausforderung „Social Business“ in der Finanzbranche

Was also treibt heute ein mittelständisches Unternehmen dazu, ein „Social Business“-Projekt anzugehen? Auf der Suche nach Antworten lohnt sich ein Blick auf einen konkreten Anwendungsfall. Der Ostdeutsche Sparkassenverband mit Sitz in Berlin vertritt die Interessen von 45 Mitgliedssparkassen in vier Bundesländern. Zu den Aufgaben der rund 250 Mitarbeiter gehören neben Interessenvertretung und Wirtschaftsprüfung auch die Beratung in betriebswirtschaftlichen und steuerlichen Fragen sowie die Weiterbildung im Rahmen der hauseigenen Akademie.

Die Herausforderung der nächsten Jahre: Eine stärkere Profilierung als Beratungshaus, mehr Nähe zu den Sparkassen, stärke Vernetzung mit Geschäftspartnern, Politik und Gesellschaft. Die Erkenntnis: Der Veränderungsprozess erfordert IT-Unterstützung mit flexiblen Werkzeugen. Anforderungen wir die leichte Integration externer Partner oder gar „any place, any device“ waren bisher so nicht vorgesehen. Mit Lotus Notes existierte zwar eine bewährte, aber in die Jahre gekommene Plattform für Zusammenarbeit. Gerade für diejenigen Anwendern, die privat Facebook, Dropbox, Google, iCloud & Co nutzen, geht allerdings Zusammenarbeit über Notes-Datenbank, Abteilungslaufwerke und allzu oft via E-Mail nicht weit genug.

Integration von Social Software Tools

Für Unternehmen, die wie der OSV auf Lotus Notes setzen, liegt es nahe, auf die Social Software Tools der IBM zu setzen. Mit IBM Connections, aktuell in der Version 4.5, erhält der Kunde einen Set von Anwendungen, die sich durch eine gemeinsame Oberfläche und Administration auszeichnen: Blogs, Wikis, Lesezeichen- und Datei-Verwaltung integrieren sich in den Aktivitäten-Strom. Eine simple aber effektive Aktivitäten-Verwaltung als „Mini-Projektmanagement“ ergänzt das Portfolio, ebenso wie Mail und Kalender. Die IBM-Connections-Komponenten integrieren sich mit Plug-ins in Lotus Notes. Und Instant Messaging via Sametime ebenso.

Bei dieser Lösung muss man allerdings auch einige Schwachstellen akzeptieren, die in der aktuellen Version noch in Bezug auf Usablility und Wartbarkeit existieren. Auf die schwierige Integration externer Partner hat IBM zwar mittlerweile mit dem angekündigten „Guest User“-Konzept reagiert. Anderen Nachteilen wie zum Beispiel der rudimentären Administrationsmöglichkeit wurde mit dem Einsatz von Drittprodukten wie dem „Connections Administration Toolkit“ der Firma TimeToAct begegnet.

„Social“ ist kein Selbstläufer

So weit, so gut? Nein. Social Software kann man installieren, Social Business nicht. Auch diese Erfahrung musste der Verband machen. Denn einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren in Social Business Projekten ist die Einbindung der verschiedenen Interessengruppen im Unternehmen. Welche Interessen aber haben diese Bereiche?

Die IT-Abteilung hat jahrelang erfolgreich die Standardisierung der Soft- und Hardware vorangetrieben – und zentrale Werkzeuge und umfangreiche mehrstufige Berechtigungskonzepte implementiert. Kollaborative Tools wie Lotus Notes oder SharePoint sind zwar im Einsatz, spiegeln aber letztlich nur die Abteilungsgrenzen wider. Auf die neuen Anforderungen an die Integration temporärer externer Arbeitskräfte sowie die immer häufigere Einbeziehung externer Partner und Dienstleister ist die IT nicht vorbereitet. Die Folge: Smarte Mitarbeiter suchen sich einfache, überall verfügbare Lösungen im Internet, bauen ihre eigene kleine Schatten-IT und umgehen alle Regeln der sicheren Kommunikation.

Der Personalabteilung bekommt es mit Mitarbeitern der sogenannten „Generation Y“ zu tun, für die zeit-, orts- und geräteunabhängige Kommunikation eine Selbstverständlichkeit sind. Hochqualifizierte Nachwuchskräfte finden sich in traditionellen, von Hierarchie und starren Informationsflüssen geprägten Organisationen nicht mehr zurecht, sie wechseln häufiger den Job. In der Folge muss das Unternehmen mit höherer Fluktuation kämpfen, Wissen besser dokumentieren und zugänglich machen, Kandidaten optimale Arbeitsbedingungen bieten, schnelle Einarbeitung („Onboarding“) garantieren. Dies beinhaltet auch die Bereitstellung von modernen Arbeitswerkzeugen für interne und externe Kommunikation.

Die Unternehmenskommunikation musste sich in den letzten Jahren massiv mit sozialen Medien in der externen Kommunikation auseinandersetzen. Der Nachwuchs stellt nun zu Recht die Frage, warum die gleichen Instrumente nicht auch die interne Kommunikation und Zusammenarbeit verbessern können. Die interne Kommunikation steht dabei vor ganz neuen Herausforderungen. Wie die Kommunikationsprozesse lenken? Wie mit vertretbarem Aufwand die Botschaft an die Mitarbeiter bringen? Und wie mit der Herausforderungen umgehen, wenn wirklich in offenen Worten die Führung des Hauses kritisiert wird?

Und nicht zuletzt muss die Unternehmensführung zum einen mit den neuen externen Treibern umgehen, aber auch mit einer neuen Dynamik der internen Organisation. Gut abgeschirmt durch Stab und mittlere Führungsebene, drangen bisher Signale weder ungefiltert nach oben noch direkte Botschaften oder auch persönliche Gedanken nach unten. Die neuen Technologien beseitigen diese Filter – und sorgen für Verwunderung auf der einen und für Angst auf der anderen Seite.

Doch die Praxis zeigt: Die Einführung von Social Software löst nicht eines der angesprochenen Probleme. Gerade im Mittelstand sind die Erwartungen hoch und die Beteiligten schnell überfordert. 80 Prozent der Social Software Projekte werden ihr Ziel nicht erreichen, orakeln die Analysten von Gartner in einer aktuellen Studie. Warum ist das so? Für die IT Abteilung sollte die Einführung einer neuen Software kein „Neuland“ sein. Aber im Gegensatz zur Einführung einer neuen ERP-Lösung lässt sich hier die Nutzung nicht verordnen.

Aktive Ausgestaltung einer neuen Kommunikationskultur – auf allen Ebenen

Viele Unternehmen trifft diese Erkenntnis unvorbereitet, den OSV glücklicherweise nicht. Das Projektteam wurde von Anfang an fachbereichsübergreifend besetzt, IT und Unternehmenskommunikation arbeiten eng zusammen. Innovatoren aus allen Fachbereichen wurden identifiziert und erarbeiteten gemeinsam konkrete Anwendungsfälle für das neue Unternehmensnetzwerk. Eine „Social Business Woche“ brachte Anwendern die Werkzeuge des Web 2.0 näher, Projektteams gestalteten eigene Anwendungen, in zahlreichen Workshops wurden bestehende Arbeitsprozesse sinnvoll in Frage gestellt und neue Lösungen diskutiert.

Bei der Einführung einer Lösung, die die gesamte Kommunikationskultur verändern und die Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinaus optimieren soll, ist zudem die Top Management Unterstützung gefordert. Auch hier ging der OSV mit gutem Beispiel voran. Mit dem formulierten Ziel einer „hierarchiefreien Kommunikation“ ging der Appell zur offenen Kommunikation an alle Mitarbeiter. Dennoch: Nur die wenigsten Mitarbeiter wagen sich aus der Deckung und sprechen neuralgische Punkte öffentlich an. Der Irrglaube, mit einem sozialen Netz quasi sofort eine partizipative Unternehmenskultur etablieren zu können, ist aber weit verbreitet. Dass dieser Wandel verändertes Führungsverhalten und eine andere Kommunikationskultur erfordern, unterschätzen viele Unternehmen ebenso wie den Faktor Zeit, der für einen solchen Veränderungsprozess benötigt wird.

Zentrale Aufgabe im Einführungsprozess ist darüber hinaus die Überwindung der digitalen Kluft in der Arbeitnehmerschaft. Gerade ältere Kollegen haben viele Vorbehalte gegen die neuen Werkzeuge, nicht zuletzt auch, weil traditionelle Medien Ängste in Bezug auf Facebook, Twitter & Co schüren. Stattdessen gilt es, mit den Ängsten umzugehen und die Mitarbeiter mitzunehmen. Nicht alle wird man überzeugen, Widerständen muss Raum gegeben und für Toleranz geworben werden. Viele Unternehmen unterschätzen dabei auch den Aufwand für Schulung und Coaching der Mitarbeiter sowie für die projektbegleitenden Kommunikationsmaßnahmen. Ein ausgewogener Mix von „Push“ und „Pull“ Maßnahmen kann zu schnellerer Adaption führen. Während mit „Pull“ überwiegend Neugier erzeugt werden soll, wird mit ausgewählten „Push“ Maßnahmen auf Druck gesetzt. Ist die aktuelle Verlautbarung der Geschäftsführung nur im Vorstands-Blog zu lesen, so bringt man Nutzer mit sanftem Druck ins neue Netz.

Fazit

Das neue Denken und Handeln braucht Zeit und ein engagiertes Projektteam, hinter dem das Top Management steht. Viele Dinge muss man ausprobieren, einige werden scheitern. Die Idee vom Arbeitsplatz ohne Mail-Flut? Eher unrealistisch, die Informationsflut bahnt sich auf anderen Kanälen ihren Weg. Social Software als virales Tool, das sich von selbst einführt? Die Realität zeigt: Keineswegs. Dennoch: An den neuen Formen der Kommunikation und Zusammenarbeit wird kein Weg mehr vorbei führen. Es ist Zeit, sich schon jetzt damit auseinanderzusetzen. Die Technologie ist verfügbar, der Weg noch lang.

Quellenangabe:
[1] IBM CEO Studie 2013: Der Faktor Technologie rückte dabei von Rang sechs im Jahr 2004 auf Platz eins im Jahr 2012 – und blieb auch im Jahr 2013 führend.

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Kommentare

2 Antworten zu „Social Software kann man installieren – Social Business nicht“

  1. […] ersten Halbjahr gab es die eine oder andere Veröffentlichung rund um die Erfahrungen aus den aktiven Projekten. Zu zahlreichen […]

  2. […] Ceterum censeo: Social Software kann man installieren, Social Business aber nicht. […]

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