Kolumne zur LotusPhere 2004, veröffentlicht im Groupware Magazin
The Return of The Fat Client
Die Lotusphere – unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2004. Dies sind die neuen Abenteuer der IBM Lotus Division, die mit einer Besatzung von über 5000 Konferenzteilnehmern fünf Tage lang unterwegs war, um neue Software zu erforschen, neue Kunden und neue Zivilisation. Viele Lichtjahre von der Wirklichkeit entfernt, dringt IBMs Lotus Division in Software-Welten vor, die heute noch kein Mensch installiert hat.
Sternzeit 0989,1. Captain Jean-Luc Picard alias Patrick Stewart betritt die Bühne – und sorgt dafür, dass ein bunter Haufen aus Programmierern, Systemarchitekten, Administratoren, Beratern und Marketing-Spezialisten (Telefon-Desinfizierer waren wohl keine da) nicht bereits wie gewohnt nach der ersten Stunde auf der Suche nach Kaffee die Opening-Session verließen, sondern gebannt Shakespeare-Zitaten des grandiosen Mimen folgten.
Dieser Auftakt hätte nicht passender sein können. Während auf der letzten Lotusphere der Weg der Now und der Next Generation angekündigt wurde, ohne wirklich dazu passende Software zu präsentieren, setzte IBM mit diesem grandiosen Opening ein klares Signal. Die Next Generation ist angekommen. Vorwärts immer, rückwärts nimmer. Aber das ist eine andere Geschichte.
Bleiben wir also zunächst im Weltraum. Während im letzten Jahr der Blick ins Dunkel des Weltalls nur wirre Codenamen wie Moskau, Seoul oder Nagano zu Tage förderte, gab es dieses Jahr doch einiges zu sehen – wenn auch vieles noch Lichtjahre entfernt.
So wurde jetzt klar, wie die Produkte der Zukunft aussehen werden. Sie basieren vollständig auf J2EE, tragen unaussprechliche Namen, erfordern immense Ressourcen und Budgets und sind vermutlich nur mit Warp-Antrieb in Fahrt zu bringen. Während auch gestandene und erwiesenermaßen äußerst fähige Techniker diese neue Generation der Arbeitsplatz-, nein Workplace-Software nur mit Mühen in vielen Tagewerken auf 4-Wege-Maschinen mit mindestens 2 GB RAM zum Fliegen bekommen, beruhigen uns doch die News aus der guten alten Now Generation. Lotus Notes und Domino leben weiter auf unserem Workplace und werden ganz sanft in die neue Welt überführt.
Mit Notes und Domino 6.5.1 wird eine einheitliche Codebasis auch für QuickPlace und Sametime gelegt – und das ist auch gut so. Aber wie sich zeigt, sind wir von einer synchronen Lieferung der Produkte und wahrscheinlich auch der zukünftigen Maintenance Releases dennoch meilenweit entfernt.
Mit Notes 7 werden wir dann die unter DB2 virtualisierte NSF Datenbankstruktur mit dem Titel NSFDB2 erleben. Alles sieht nahtlos aus, man kann eine NSF gegen eine NSFDB2 replizieren und sogar clustern. „The real story is that there’s not much to see.“ Und damit vollzieht sich auch im guten alten Lotus Notes nahtlos der Schritt vom Client-Server-Modell zu einer Drei-Schichten-Architektur. Zwei-Lagig statt Drei-Lagig. Sanfter kann es nicht gehen.
Allerdings blieb gerade die NSFDB2 Story einer der wenigen herausragenden Punkte, an denen der zukünftige Release 7 von Notes und Domino Gestalt annahm. Ansonsten verlief die Suche der Konferenzteilnehmer nach tieferen Einblicken in das Notes 7 Projekt eher enttäuschend. Vermutlich wollte man sich den Stoff für das nächste Jahr aufheben, denn der nächste Release wurde für das erste Quartal 2005 angekündigt – und damit die bereits angekündigte 12. Lotusphere zum Launch Event gemacht.
Geradezu penetrant wurde man dagegen mit den IBM Workplace Phasern beschossen. Während in den Abenteuern des Raumschiff Enterprise ja sogar die entferntesten Kulturen der englischen Sprache mächtig sind, machte sich auf der Lotusphere eine eher babylonische Sprachverwirrung breit. Schuld daran waren wieder mal die Marketing-Experten. Und sie lieferten gute Gründe dafür, sie allesamt in ein Raumschiff zu packen und mit Kurs auf den Delta Quadranten ins Weite zu schicken.
Nachdem ja schon im letzten Jahr QuickPlace zu IBM Lotus Team Workplace und Sametime zu IBM Lotus Instant Messaging mutierte, wurde der Irrsinn dieses Jahr perfektioniert. Was bitte soll denn „ILWWCM“ sein, und wer soll das aussprechen? Die IBM Sprecher schafften es jedenfalls nicht fehlerfrei. Vielleicht können es ja die Klingonen. „ILWWCM“ steht für die aus der Aptrix-Akquisition hervorgegangene CMS-Lösung und bedeutet „IBM Lotus Workplace for Web Content Management“. Zählen Sie ruhig! Die Abkürzung hat genauso viel Buchstaben wie der ursprüngliche Produktname.
ILWWCM bietet übrigens in der kommenden Version auch die Möglichkeit, Dokumente zu versionieren. Sie stutzen? Bei dieser Ankündigung fühlten sich auch einige Konferenzteilnehmer unfreiwillig an den Launch von Workplace 1.1 im November 2003 erinnert, bei dem ein stolzer Präsentator enthüllte, dass man im Workplace Messaging einen Kalender integriert hat, der jetzt auch die Erstellung von „repeating appointments“ ermöglicht. Solche Ankündigungen lösen keine Begeisterung mehr aus, denn zuletzt haben wir über derartige Dinge gejubelt, als ein schelmisch dreinblickender Mussie Shore auf der Lotusphere 1996 in einer Beta des Notes 4 Client „aus Versehen“ die Kalender-Ansicht enthüllte.
Auch die kurzzeitige Begeisterung für den Java-basierten Workplace Rich Client verpuffte relativ schnell wieder. Fast alle Teilnehmer fragten sich: Kann er oder kann er nicht Notes-Anwendungen nutzen? Er kann – aber leider nur unter Windows. Die Implementierung im Demo-Client erfolgte über OLE, und über eine Roadmap zu einer Linux-Implementierung war wenig zu erfahren. Immerhin hat IBM still und heimlich Anweisung in den Maschinenraum gegeben, Notes 6.5.1 jetzt wieder unter WINE nutzbar zu machen. Das sollte dann auch tun, bis der Workplace Client im Jahr 2006 in Gestalt von Notes 8 die nötige Reife hat.
So fühlten sich viele Kunden und Business Partner von IBM seltsam komisch in der Magengegend. Auf der einen Seite sah man dieses Jahr klare Bilder von dem, wo es hingehen wird. Auf der anderen Seite fürchten aber viele, dass es der Lotus-Division mit der neuen J2EE-Technologie auf dem Weg zum Kunden ähnlich ergehen könnte wie den amerikanischen Truppen auf dem Weg nach Bagdad: Von jubelnden Massen, die die Befreier empfangen sollten, ist weit und breit nichts zu sehen. Die Installed Base ist quasi nicht vorhanden, die Systeme passen an den Schnittstellen zu den hauseigenen Produkten nicht zusammen, und Kunden und Business Partner sind zur Zeit noch überfordert. Die Gemeinde hat zwar viel über die alte, ach so proprietäre Client-Server-Architektur geschimpft. Aber eine neue Technologie mit den damit verbundenen Kosten will so recht auch keiner haben. Da bleibt noch viel an Kommunikationsarbeit zu tun, um den Workplace-Feldzug zu gewinnen. Und dabei kann Captain Picard leider auch nicht helfen.
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