Klassenkampf

Heute habe ich meine Wahlbenachrichtigung erhalten. Es geht um Tempelhof. Ja oder Nein. Schon seit Monaten tobt der Krieg rund um den alten Flughafen. Und seit Wochen wird der Wahlkampf, der ja nur suggeriert, dass es eine Wahl gäbe, auf übelste Weise im Berliner Stadtgebiet ausgefochten.

Den Anfang machten die unsäglichen Plakate der Tempelhof-Fans von der CDU mit der bunten Aufschrift „JA zu Tempelhof zur NEIN Arroganz“. So zu lesen, wenn man, wie in Mitteleuropa üblich, von links nach rechts liest. Den Setzer, der diesen Angriff auf den guten Geschmack verbrochen hat, sollte man gleich an seinem eigenen Schriftbild aufhängen. Nachdem rund 200.000 Berliner, die sonst niemals einen Behördengang machen würden, tatsächlich in die Bürgerämter gelaufen sind und für die Durchführung eines Volksentscheids gestimmt hatten, geht nun der „Wahlkampf“ erst richtig los. Am 27. April soll ich wählen gehen. Berlin übt Basisdemokratie.

Die Stadt ist dieser Tage zugepflastert mit den grausamsten Print-Erzeugnissen, die ein Laie mit Photoshop produzieren kann. Besonders beleidigend für den guten Geschmack ist der Klassenkampf, den die Flughafen-Gegner jetzt heraufbeschwören. „Ick fliege uff Berlin, aba nich von Tempelhof“ verkündet Oma Kasulke, und Atze von der Baustelle gegenüber ruft einem an fast jeder Ampel entgegen: „Ick zahl doch nicht für´n VIP-Flughafen„.

Die Flughafen Fans halten entsprechend dagegen und lassen Gunter Gabriel für Tempelhof aufspielen, obwohl da gar keine Trucker landen dürfen.

Den Flughafen hat man sicher systematisch tot geredet. Ob allerdings eine „zivile Nutzung“, in der es an Brachflächen, Bauland und Mietwohnungen nicht wirklich mangelt, wirtschaftlich sinnvoller ist als eine Wiederbelebung, sei dahin gestellt.

Ich habe zur Tempelhof-Frage meine Meinung irgendwo auf dem Weg zur Abstimmung verloren. Immer wieder werde ich sentimental, wenn ich nochmal von Tempelhof fliege. Gerade gestern abend empfand ich es als furchtbar romantisch vor dem Flughafen nochmal dem Geräusch einer Turboprop Maschine beim Rollfeldtaxieren zuzuhören. Aber mehr ist es auch nicht.

Meine Bequemlichkeit wird eh bald ein Ende haben. Tempelhof hat schon von Anfang an einen U-Bahn-Anschluß und lag, wie es sich für einen Zentralflughafen gehört, sehr zentral. Das wird – Volksentscheid hin oder her – sicher ziemlich bald vorbei sein. Tegels Verkehrsanbindung war zwar immer grauslich außer für die Mitglieder der Berliner Taxi-Innung, aber mit dem Auto war ich in guten Zeiten auch in 15 Minuten da. Das gibts kaum in einer Großstadt – und auch das ist bald vorbei.

Nun, es bleibt der Erkenntnis, dass man seit Jahren in Berlin weder in der Lage ist, einen ordentlichen neuen Großflughafen zu bauen noch zwei andere ordentlich zu schließen. Mit Provisorien haben wir unsere Erfahrung. Das kann also noch lange so weiter gehen.

Nur eine Bitte habe ich an Gegner und Befürworter: Nehmt die grausamen Plakate weg.


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