Früher war die Welt einfach. Am Anfang der elektronischen Kommunikation landete alle Post in meinem Compuserve-Account. Aus heutiger Sicht war das Arbeit mit dem Faustkeil, aber das Prinzip dieses Werkzeugs beherrscht nach wie vor die Amtsstuben dieser Welt. Asynchrone Kommunikation im Push-Mode. Probleme wird man los, indem man sie in die nächste Mailbox schiebt. Blechbriefkasten vor der Tür ersetzt durch elektronischen Briefkasten. Sequentielle Abarbeitung. Inbox leer. Tagwerk getan.
Schon kurze Zeit später bröckelte die elektronische Monokultur. AOL Instant Messanger und ICQ brachten Real Time Chat in mein Leben. Ab sofort also mehrere Kanäle synchron, ein Kanal – e-Mail – weiterhin asynchron. Auch das ließ sich noch ordentlich verwalten.
Heute, 20 Jahre und viele Werkzeuge später, sieht der aktuell gültige morgendliche Info-Check so aus:
1. Facebook
2. WhatsApp
3. Mail
4. Twitter
5. Und ja, zum Leidwesen der Jugend, jetzt auch Snapchat
Dazu kommen dann diverse Kundennetzwerke:
– 1 * Yammer
– 1 * Sharepoint
– 3 * IBM Connections
– 1 * Alfresco
Wenn nötig garnieren wir das noch mit iMessage/SMS. Im Hintergrund werkeln Google Talk und, wenn ich es zulasse, auch mal Skype.
Und nun auch noch Slack. Wer heute nicht in persistenten Chat-Räumen seinen Geschäften nachgeht, ist sowas von 2015. Slack war die letzten 12 Monate der Heilsbringer, der e-Mail-Killer. Derzeit dreht allerdings ein wenig der Wind:
„The narrative has slowly switched from ‘How Slack killed email’ to ‘How Slack killed my productivity’.“
Slack-Nutzer, die vorher ob so viel transparenter Kommunikation und offener Zusammenarbeit statt e-Mail-Lawinen geschwärmt haben, beichten nun, dass ihr Arbeitstag mit Slack in ein einziges nicht enden wollendes „Franken-Meeting“ gewandelt zu sein scheint.
Wer kontrolliert wen?
These: Nicht ich kontrolliere meine Kommunikationsströme – die Kommunikation kontrolliert jetzt mich. Das liegt natürlich nicht am Werkzeug. Es liegt an mir und den vermeintlichen Erwartungen der Kollaborateure. e-Mail wurde auch als Terror empfunden, Mobilität sowieso, wenn der Chef dann um 23:00 noch ein Mail sendete, entstand Druck. Der zu erwartende Beißreflex: Mail-Server ab 18:00 herunterfahren. War meines Wissens nicht sonderlich erfolgreich bei VW. Wie vieles andere auch. Liegt ja auch nicht am Werkzeug, es liegt am Menschen. Jederzeit immer und überall kommunizieren zu können, erzeugt Druck. Von innen (inneres Belohnungssystem) und von außen (Mitarbeiter ist erreichbar, Führungskraft erwartet Erreichbarkeit).
e-Mail war dagegen einfach: e-Mail ist linear. e-Mail ist Push-Mode. Chef schickt e-Mail. Mitarbeiter arbeitet Inbox ab. Mit „Antwort an alle“ werden alle Kollegen in die Arbeitsbeschaffung mit einbezogen. Mit Anhang. Danach wegsortieren in irgendeine private Sortier-Logik, die niemanden interessiert, weil den Kontext der Ordner sowieso nur der Eigentümer der Mailbox versteht. Wenn der Mitarbeiter ausscheidet, wird die Mailbox gelöscht. Daten, Information, Kontext, vielleicht auch Wissen – weg.
Rettungsanker Social
Heilsbringer sollten die Social Tools sein. Arbeiten in Communities, offen, partizipativ. Kontext für alle sichtbar. Pull statt Push. Mitarbeiter folgen ihrem Chef. Oder den Kollegen. Sie folgen Inhalten, Communities, Blogs, Wikis. Sie kommentieren im Kontext. Mit „Empfehlungen“ weisen sie Kollegen auf wichtige Inhalte hin. Der „glückliche Zufall“ namens Serendipity läßt sie auf spannende neue Zusammenhänge stoßen. Alle können sich beteiligen und wichtige Beiträge leisten, wo sie vorher nur in ihrer Mailbox das serviert bekommen haben, was sie taylorisiert bearbeiten sollten.
So weit das Ideal.
Nun gibt es jede Menge Menschen, die viele Kanäle bedienen können, privat und im beruflichen Kontext. In der Filterblase twittern, facebooken, snapchatten, instagrammen wir parallel zur Nutzung von Slack, Confluence, Yammer und IBM Connections.
Kanal voll
Die wenigsten Nutzer in Unternehmen kommen aber mit diesem Prinzip zurecht. Die Welt war einfach bevor alles social wurde. FOMO, die Angst etwas zu verpassen, grassiert. In internen sozialen Netzwerken entwicklen nun Mitarbeiter Mechanismen, um den Push-Mode von e-Mail zu erhalten, damit die eigene Botschaft nicht untergeht. Damit niemand sagen kann, ich als Mitarbeiter hätte nicht deutlich mein Anliegen adressiert. Das führt zu wahren Lawinen von @-Erwähnungen – damit man ganz sicher ist, dass die gesamte Abteilung ihren Einsatz nicht verpaßt. Die Reinkarnation von e-Mail im Gewand der sozialen Medien. Mißtrauen, dass der andere den richtigen Vorgängen folgt und sich selber seine Informationen für die Verfolgung seiner Aufgabe zieht, beherrscht das soziale Medium. Begleitet von der Angst, die zeitnahe taktgenaue Lieferung auch ja dokumentieren zu können in der taylorisierten Bürowelt. Hochbezahlte Wissensarbeiter mutieren im Büroalltag so zu Verwaltungsfachangestellten. Vorgang bearbeitet. Stempel drunter. Umlaufmappe weiterreichen.
In dieser Welt hat eine Vielfalt von Kanälen keinen Platz. Die Grundweisheit: Das Tool ändert noch lange nicht die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten. Es ist nicht das Werkzeug, es ist die Kultur der Zusammenarbeit, stupid. Wer offline nicht „anders arbeitet“, wird das online auch nicht tun.
The one long franken-meeting
Selbst in den hippen Startups, in denen e-Mail ein Nischendasein fristet und die Nutzung von Slack auf Offenheit, Transparenz und Hierarchiefreiheit basiert, fordert das „one long franken-meeting“ die Mitarbeiter ordentlich heraus.
„while [social] has replaced the tyranny of email for many, it has unleashed a chaotic tyranny of its own.“
Im Aktivitätenstrom rauschen Postings, Antworten, Empfehlungen vorbei. Ständig könnte man etwas kommentieren, würde gerne belangloses Zeug vom Kollegen ausblenden, traut sich aber nicht, weil es könnte ja auch was wichtiges dabei sein. Eine neue Form von Stress, viel kleinteiliger und enger getaktet als bei e-Mail hat Einzug gehalten in die vormals prozessural so schön durchstrukturierte Arbeitswelt.
Mitarbeiter und Arbeitsgruppen suchen sich dann wieder ihre ruhigen Ecken – auch das ein Phänomen, das Mossberg in seine Slack-Beobachtungen teilt:
„because of the sea of talk and the fact that everything in a standard channel is open to all, more and more people are resorting to private, closed discussions, even while using Slack. The company says that, in its early days, about 70 percent of its usage was in public channels. Now, 70 percent is in direct-messaging sessions or private channels.“
Auch die Forderung nach „Threading“ in Slack zeigt den Wunsch nach Ordnung. Und egal, ob Facebook oder Slack, der tradtionelle Wissensarbeiter hätte gerne eine funktionierende Suche. Ja, rufen dann die Verkünder der #sofortness, uns interessiert nur noch das „hier und jetzt“ und Dinge, die jetzt publiziert sind, interessieren in kürzester Zeit eh keinen mehr. Inhalte sind nur noch kurzlebig, so der Ansatz, nach drei Tagen interessiert ein Post nicht mehr, warum ihn also wiederfinden wollen?
Es ist ein kreuz. Die neuen Werkzeuge machen Sinn, sie sind nicht mehr wegzudenken. Man gewinnt Transparenz, man verliert Linearität. Man gewinnt Kontext, aber man verliert Fokus. Es hilft offensichtlich nichts: Der Filtermuskel im eigen Hirn muss trainiert werden auf mehr Durchlässigkeit, der Lohn ist Serendipität, der Preis ist FOMO.
Warum ich das alles schreibe? Meine Frau sagt gerne, wen sie mir ein Problem auftischt und ich sofort nach einer Lösung suche: „Ich will nur drüber reden, ich will keine Lösung“.
Genau. Ich wollte nur mal drüber reden.
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