Großes Theater

Das Licht im Saal verlischt, auf der Bühne setzt der Regen ein, die Schauspieler treten auf – und als unerträglich laut die Musik der Böhsen Onkelz ertönt, verbunden mit einer Videoprojektion, die verwackelte graue Bilder eines grauen Lebens im Brandenburgischen auf die trostlose Betonwand wirft, da fürchtete ich das Schlimmste. Vielleicht wieder ein verhunzter Klassiker, der dem modernen Theater geopfert wird? Denn verfolgt man beispielsweise die Inszenierungen derzeit hoch gehandelter Regisseure an der „neuen“ Schaubühne, dann ist die zur Zeit wieder angesagte Eröffnungs-Mischung „unerträglich laute Musik + Videoprojektion“ ein Garant dafür, dass im Laufe des Abends das sprachliche Niveau in ungeahnte Tiefen sinkt, Schauspieler sich zeitnah vollständig entblößen und im besten Fall auf der Bühne lediglich urinieren – die 70er lassen grüßen. Nur kann man heute damit keinen mehr schocken, mich nervt es nur noch.

Aber der Abend im Maxim Gorki Theater sollte anders werden, und deshalb ist es hier auch eine Erwähnung wert: Ich war lange nicht mehr so gefesselt von einem Bühnenstück wie diesem. Im Regen, der nur für einen kurzen Augenblick der Gnade aufhört, quält sich der Prinz von Homburg durch Liebe, Hochmut, Ungehorsam, Todesfurcht und Hoffnungslosigkeit. Und am Ende, als sein schon ausgehobene Grab doch leer bleiben soll, fragt man sich, ob der Tod nicht doch besser als die Gnade des Kurfürsten gewesen wäre. Der Prinz steht im Regen, den Rücken zum Publikum gewandt, und während sich das ganze Ensemble in Leichtigkeit verabschiedet, bleibt der Prinz wo er stand. Ausgestoßen. Die Böhsen Onkelz singen wieder „Ich zeige dir, was es heißt allein zu sein“, und jetzt nimmt es den Zuschauer mit und es läßt ihn nicht mehr los. Man möchte den Prinz nicht alleine stehen lassen.

Ich habe es selten erlebt, dass das Publikum einfach im Theater blieb. Im Saal. Auch nachdem der Schlußapplaus verklungen war. Die Inszenierung hat das Stück über das offensichtliche Ende hinaus verlängert. Man mußte sich einfach losreißen. Und möchte eigentlich nicht gehen.

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