Ein Koffer bleibt noch in Berlin

18:15 Check in für den Flug um 19:15 nach Zürich. Lange Schlange vor der Sicherheitskontrolle. Dunkle Vorahnungen.

18:45 Die Schlange zur Personenkontrolle windet sich bis zum nächsten Counter durch die Halle.

19:10 Identitätsfeststellung. Gott sei dank: Ich bins.

19:15 Top Besetzung an der Security. Hinter dem Band vier Facharbeiter für aktive und passive Flugsicherung der Firma Securitas. Vor dem Band am Detektor zwei Kollegen, die den beliebten „Machen Sie den Gürtel auf“ Job machen. Wie zum Teufel schaffen es 6 Mann, derart langsam die Passagier abzufertigen.

19:20 Seit 5 Minuten sollten wir in der Luft sein. Vor mir ein sympathischer alter Herr, freundlich lächelnd mit einem Alu-Koffer als Handgepäck. Vier Sicherheitsfacharbeiter betrachten gemeinsam den Bildschirm und grübeln. Diesmal grübeln sie lange. Diskutieren wild. Der ältere Herr macht den Vorschlag, im Sinne einer schnelleren Abfertigung vielleicht einfach seinen Koffer zu öffnen. Man hört ihm nicht zu. Er habe doch nur ein Radio gekauft, sagt er mit leiser Stimme. Keiner hört ihm zu, lieber starrt man zu viert auf den Bildschirm und analysiert das Bild, dass sich dort bietet. Minuten später brüllt einer der Blaumänner völlig unvermittelt in die ungeduldig wartende Menge: „FESTSTELLUNG!“ Halbnackte Männer ohne Schuhe und Gürtel werden urplötzlich vom Personal zurück nach draußen gedrängt, zurück zur Passkontrolle. Die Türen schließen sich. Wichtig drein blickende Menschen kommen. Mittlerweile stehen mindestens 10 Menschen um den Monitor herum. Endlich fällt ein besonders sicherer Sicherheitsfacharbeiter eine Entscheidung: Schauen wir doch mal in den Koffer!

Zwischen Hemden und Unterhosen findet sich… ein Tivoli Radio. Zweifelsohne eine Gefährdung des Luftraums.

19:45 Flugzeug bestiegen, Fensterplatz ergattert. Aus dem Fenster kann man beobachten, wie das gerade eingeladene Gepäck wieder den Laderaum auf dem Förderband verläßt.

19:50 Der Lademeister hat festgestellt, dass die Anzahl der Gepäckstücke nicht stimmt.

20:00 Verträumt schaue ich die sich langsam über das Gepäckband windenden Gepäckstücke an. Ja, das Gepäck verläßt das sinkende Luftschiff immer noch.

20:05 Die gesamte Wagenladung Gepäck macht sich auf den Weg irgendwohin. Als sie wiederkehrt, tun die drei Bandarbeiter das einzig Richtige: Man macht es sich gemütlich auf dem Gepäckband, schaut dem Gepäck beim herumliegen zu – und amüsiert sich königlich.

20:15 Das Gepäck ist jetzt vollständig verschwunden – allerdings nicht im Bauch des Flugzeugs. Wahrscheinlich legen ein paar Sicherheitsfacharbeiter eine zusätzliche Schicht ein und wühlen sich durch in dreckige Unterhosen eingewickelte Designer-Radios.

20:20 Die Maschine der SWISS verläßt das Gate nebenan. Die Maschine, die zu teuer war und außerdem zu spät flog – und jetzt früher ankommen wird.

20:25 jetzt wird es lustig. Jeweils 5 Passagiere sollen im Gänsemarsch das Flugzeug auf der vorderen Treppe verlassen und an den auf dem Flugfeld schön drapierten Gepäckstücken vorbeidefillieren und ihre Gepäckstücke identifizieren. Hat man sein Gepäckstück gefunden und enthält es kein in Unterhosen eingewickeltes Radio, wird das Gepäckstück auf die andere Seite des gedachten Ganges gestellt und man darf über die hintere Treppe das Flugzeug wieder betreten.

20:40 Bisher ist kein Passagier auch nur in die Nähe seines Gepäckstücks gekommen. Die Treppe, die zum Aussteigen auf die Allee der verlorenen Gepäckstücke benötigt wird, ist noch bei einem anderen Flugzeug, das gerade „beboarded“ wird. Wäre ja auch zu viel verlangt, wenn man eine Treppe in Reserve hätte. Einige Passagier murmeln schon etwas von „Notrutsche“.
Wenn ich doch nur ein Radio hätte.

21:10 Endlich. Es steht nur noch ein Koffer in Berlin einsam auf dem Rollfeld – alle anderen sind identifiziert. Was in dem Koffer ist, warum der Koffer falsch sortiert wurde, wem er gehört – das werden wir wohl nie erfahren. Wir heben ab mit zwei Stunden Verspätung.

Ich ärger mich in letzter Zeit so oft über die Fliegerei – vor allem über die Billigfliegerei. Von mir aus könnte man dem ein Ende bereiten. Kerosin-Steuer international einheitlich rauf, Lande- und Startgebühren vervielfachen. Dann wird vielleicht Business wieder local. Wer wegen der Präsentation einiger lächerlicher Folien quer durch Europa fliegt, wird es sich dann überlegen. Schließlich gibt es Web Konferenzen, Online Meetings, Video- und Audio-Konferenzen, Connections und Quickr und all die schönen Dinge, die Kommunikation, Koorperation und Koordination auch ohne physische Präsenz ermöglichen.

Und in der Zwischenzeit kann man ja Radio hören. In jedem Fall besser als das, was ich mir heute wieder angetan habe.

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