Aleppo. Berlin. Paris.

Am Morgen nach den Pariser Attentaten bleibt blankes Entsetzen.

Nur wenige Stunden vorher hatten wir Emad und seine Familie verabschiedet. Emad, 48 Jahre, Maschinenbau-Ingenieur aus Aleppo war auf abenteuerliche Weise zu Wasser und zu Land seiner Familie hinterhergereist. Frau und Kinder waren über Ägypten und weitere Zwischenstationen schon vorher nach Berlin gelangt. Er durfte nicht ausreisen. Männer werden gebraucht im Krieg. So floh er, seiner Familie hinterher.

Anfangs noch unberührt vom Bürgerkrieg, so erzählt er, verwandelte sich ihr Wohnbezirk in eine Kampfzone. Sein Lebensplan, sein Unternehmen zu verkaufen und dann ins Ausland zu gehen, lag in Schutt und Asche. Von ihrem Haus fehlen jetzt die oberen Etagen, durch die mittlerweile fensterlose Wohnung im Erdgeschoss weht der Wind. Sie haben alles zurückgelassen.

Wir hatten für das Willkommensbündnis Steglitz-Zehlendorf und für Blogger für Flüchtlinge Geld gespendet, hatten auch Sachspenden bereitgestellt. Aber wir wollten auch näher ran, die Menschen kennenlernen trotz unserer begrenzten Zeit, die wir für freiwillige Initiativen aufbringen können. Emad und seine Familie hatten sich beim „Welcome Dinner Berlin“ beworben für einen Abend bei einer Berliner Familie. Der Abend war gestern. Wir waren die Gastgeber.

DSC_0662-001

Wir begegnen aufgeschlossenen, freundlichen und auch fröhlichen Menschen. Wir hören keine Klagen. Emad spricht englisch, seine Kinder sprechen überraschend gut deutsch. Der zwölfjährige Sohn besucht eine sogenannte Willkommens-Klasse in einem Berliner Gymnasium, die zwanzigjährige Tochter musste nach einem Semester Maschinenbau-Studium Aleppo verlassen – und würde nichts lieber, als hier in Berlin weiterstudieren. Einen Gasthörerschein hat sie schon. Gemeinsames auch im Generationen-Konflikt: Sie würde gerne in Richtung Architektur gehen, der Vater wünscht sich Maschinenbau. Wir sprechen über Zaha Hadid, die irakische Star-Architektin, und die Frage, wie und wo arabische Landsleute erfolgreich in der Welt sind.

Wenig Hoffnung haben sie für ihr Land. Syrien versinkt im Bürgerkrieg. Die Familie plant die Zukunft in Deutschland. Für Emad steht fest, dass er schnell die Sprache lernen muss. Das fällt ihm nicht mehr so leicht wie seinen Kindern. Russisch, so sagt er, habe er in seiner Jugend noch schnell gelernt. Deutsch fällt ihm nun schwerer. Aber er ist zuversichtlich. Die Erfahrungen zeigen ihm, dass er weder Arbeit noch Wohnung bekommt, solange er unverkennbar arabisch englisch spricht. Er möchte möglichst schnell das Flüchtlingsheim verlassen, sucht eine 2 bis 3 Zimmer Wohnung, 700 Euro kann er dafür aufbringen. Die Vermieter winken immer ab. Eine arabische Familie im Haus will kaum ein Eigentümer.

Wir wundern uns. Eine Familie, die absolut integrationsfähig und willig ist, muss 8 Monate lang von Flüchtlingsheim zu Flüchtlingsheim ziehen. Ein ausgebildeter Ingenieur ohne Arbeit. Eine Lehrerin ohne sinnvollen Einsatz. Eine angehende Architektin ohne Studienplatz. Wir hätten keinen Zweifel, dass sie innerhalb kürzester Zeit zu Steuerzahlern werden könnten und sie eine Bereicherung für unser Land sein würden – wenn man sie nur lassen würde.

IMG_0677

Es ist ein heiterer Abend. Die Kinder verstehen sich sofort. Gemeinsam Halal-Burger zu braten und zu essen eint die Jugend. Die Erwachsenen genießen levantinische Spezialitäten und – eine Referenz an unseren spanischen Gast am Abend – Paella. Der kleine Syrer träumt von „Spiderman 3“, und die Jugend einigt sich auf die „Minions“. Nicht viel trennt an diesem Abend Aleppo von Berlin. Wir reichen uns alle die Hand. So leicht, so lebendig, so interessant hatten wir uns diesen Abend nicht vorgestellt. Nachdenklich über das Schicksal dieser Familie, aber dennoch zuversichtlich, dass im Grunde die Gewalt in der Welt die Ausnahme ist, gehen wir zu Bett. Der Glaube an das Gute, das uns alle eint, beherrscht unsere Gespräche.

Als wir aufwachen, hören wir von den Ereignissen der Nacht. Während wir im Zeichen des Miteinander den Abend verbrachten, starben in Paris Menschen als Folge von Fanatismus und Terror. Fassungslos lesen wir die Reaktionen, bedauern das Leid, fürchten die Folgen. Präsident Holland spricht von Krieg, das Säbelrasseln beginnt, die üblichen Verdächtigen schüren schon das Feuer, das Flüchtlinge und Terror in einen Zusammenhang stellt und auf dem Leid der Opfer die eigene Agenda aufbauen soll.

Wir denken an Emad, seine Familie, die anderen heimatlosen, ausgebombten und vertriebenen Menschen. Und wir wünschen uns allen, dass die grausamen Ereignisse von Paris die Menschen nicht weiter auseinanderbringen – sondern dass das Miteinander gelingt.

[ad name=“ad-1″]


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert