Schlüsseldienst.

Wir haben seit 15 Jahren keinen Haustürschlüssel mehr, sondern kommen mit Fingerabdruck ins Haus. (Ja, ich kenne die Risiken, geklaute Fingerabdrücke, manipulierte Handschuhe, ja, I know, aber wenn jemand ins Haus will, „hackt“ er sicher nicht die Tür, sondern kommt mit Vorschlaghammer oder Kuhfuß schneller und einfacher durch die Terrassentür).

Seit 6 Jahren haben wir auch keinen Autoschlüssel mehr. Der Tesla kam mit zwei (!) Scheckkarten, mit denen man das Auto entsperren kann und damit die Tesla-App anlernen kann. Tesla-App installiert, digitalen Schlüssel im Smartphone erstellt. Man kommt mit Smartphone in die Nähe des Fahrzeugs, Auto geht auf, man setzt sich rein und fährt los. Fertig.

Nun haben wir aber unseren Tesla verkauft. Aus Gründen. Jetzt haben wir einen Smart #3. Hat der Gattin und mir gefallen. Kann auf dem Papier alles, was so ein Tesla auch kann.

Der Wagen kommt mit einem (!) recht klobigen Fob daher. Das ist ein Schlüssel mit einem RFID Chip. Hat man den in der Tasche, öffnet sich das Auto und das Fahrzeug wird entsperrt. Ein zweiter physischer Schlüssel? Fehlanzeige. Gabs mal, dann wieder nicht. Diesen einen Schlüssel kann man dann wiederum in ein kleines mitgeliefertes Ledersäckchen stecken, an dem man dann wiederum eine Schlaufe befestigen kann, damit man dann wiederum den Schlüssel irgendwohin hängen kann. Puh. 

Aber egal. Das Verspechen ist ja: Geht wie beim Tesla. App im Smartphone anlernen. Fertig.

Aber weit gefehlt. Die App redet eben nicht auf Distanz mit dem Fahrzeug. Man muss also das Telefon aus der Tasche holen, die App starten (nein, es gibt kein Widget, das man zur Not noch auf den Startbildschirm verankern könnte mit einem Short Cut zum Öffnen), dann warten, bis der Wagen aufgesperrt ist (Mit Druck auf das Schlosssymbol in der App) und dann muss man noch aktiv auch den digitalen Schlüssel betätigen (andere Taste in der App!), um losfahren zu können. Also wie früher. Nur in Digital. Schlüssel in die Tür stecken und entsperren. Dann Schlüssel ins Zündschloss, um Loszufahren. So geht Digitalisierung auch in Unternehmen. Auch ein digitalisierter Scheißprozess bleibt ein Scheißprozess.

Die Gattin will verständlicherweise diesen Verlust an Komfort nicht hinnehmen. Einzige Lösung: Einen zweiten physischen Schlüssel, also diesen Fob bestellen. Bei Tesla hatten wir eine Karte mal verlegt, da ging das auch einfach: Auf der Website neue Scheckkarte bestellt, 35 Euro bezahlt, die Karte kommt per Post, neue Karte mit der vorhandenen anderen Karte angelernt. Zack, wieder zwei Karten da (auch wenn man die ja kaum brauchte).  

So einfach will es ein Unternehmen mit einer deutschen DNA einem aber nicht machen. Anruf in der Merceds-Benz-Niederlassung. Wo kann ich denn einen zweiten Schlüssel bestellen? Gar nicht. Man muss in die Niederlassung zum Service fahren. Alle Eigentumsdokumente mitbringen. 300 Euro bezahlen. Und dann gibt es einen zweiten Schlüssel. 300 Euro für ein Stück Plastik mit einem RFID Chip? Ja, bei BMW könne das ja auch schon mal 1.000 Euro kosten. Ich fühle mich an aktualisiertes Kartenmaterial für die Onboard-Navigation erinnert – CD-ROMs für 1.500 Mark. Damals. Aber es gäbe ja aktuell ein Angebot bis Jahresende für Smart-Kunden, die glaubhaft machen können, dass sie unbedingt einen zweiten Schlüssel brauchen, weil z.B. die App nicht geht. Oha. 89 Euro. 

Am Montag morgen stehe ich also an einem Ort, an dem ich schon lange nicht mehr stand. Der Service-Bereich einer gigantischen Mercedes-Banz Niederlassung in Berlin. Ich muss mich ausweisen (Personalausweis), muss nachweisen, dass ich legitime Vertreter meiner GmbH bin, die den Wagen gekauft hat (Handelsregisterauszug) und den Fahrzeugschein vorlegen. Alles da. 

OK, und nun müßte ich dann noch die Vollmacht mit Stempel und Unterschrift des Vertreters des Unternehmens vorlegen. What? Ach, sie haben keine Vollmacht dabei? Ich verweise auf Handelsregisterauszug und Personalausweis, beides zeigt mich als legitimen zeichnungsberechtigten Vertreter meines Unternehmens.

Gut, man druckt mir eine Blanko-Vollmacht aus, die ich ausfülle und unterschreibe. Aber man bräuchte schon den Firmenstempel. Ich kann mich kaum erinnern, wann ich das letzte Mal unseren Firmenstempel benutzt habe, ich wüste nicht mal, wo der ist. Ich antworte also: Den habe ich nicht. Große Ratlosigkeit. Eine Welt ohne Stempel kann sich auch der nette Herr im Service nicht vorstellen. Ich registriere nebenbei mindestens 5 Stempel neben seiner Tastatur. „Kunde holt Fahrzeug ab“. „An Kasse weiterleiten“. Zeichen einer untergehenden Bürokratie, in der Farbe auf Papier einen Prozess auslöst. 

Also Anruf in der Firmenzentrale. Dürfen wir denn auch ohne Stempel…? Ja, der Kunde sagt, er hat keinen Stempel…? Ja, Handelsregister haben wir… Hin und her. Langes Schweigen, tiefe Blicke auf Bildschirme und lauschen am Telefon. Schließlich gibt irgendwer in der Hierarchie-Kette die Bestellung frei.

Nun, welcher Schlüssel soll es denn nun sein? Der Service-Mitarbeiter holt ein ausgedrucktes, mehrfach durch viele Hände gewandertes und sauber gelochtes DIN A4 Papier aus einem Leitz-Ordner, auf dem wir zu identifizieren versuchen, welcher Fob denn eigentlich zu meinem Wagen gehört. Der silberne mit der schwarzen Schrift? Der Schwarze mit der weißen Schrift? Der Goldene? Der Ausdruck ist schlecht, die Identifikation schwierig. Es ist keine Frage des Geschmacks, es passt einfach nicht jeder Fob zu jedem Modell.

Schließlich werde ich zur Kasse geschickt im anderen Gebäude-Teil und einem Post-It (quadratisch, nicht selbtsklebend), auf dem handschriftlich der Kaufpreis 89 Euro steht und eine sechsstellige Nummer, die der Mann an der Kasse wiederum händisch abtippt. Ich bezahle (hört, hört!) digital. Und dann: Nichts. 

Bekomme ich jetzt meinen Schlüssel?

„Aber nein! Wie fertigen den Schlüssel jetzt für Sie an!“

Und dann senden Sie mir den zu?

„Oh nein. Wir rufen Sie dann an, dann kommen sie in die Werkstatt, und dann müssen wir den Schlüssel erst anlernen.“

Alles zu meiner Sicherheit, versichert man mir.

Menschen, die digital Prozesse kundenorieniert neu denken wollen, kennen dieses Argument leider allzu gut. 

Die Zukunft? Ich kenne das Konzept „physischer Schlüssel“ seit Jahren nicht mehr. Das wird sich jetzt wohl ändern. Leider. Jeder wieder nur einen Schlüssel. Jeden Tag wieder suchen, in welcher Tasche er steckt.

Hello Smart, das muss doch anders gehen.


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